Prüfungsangst – „rien ne va plus“

Prüfungsängste im Fach Mathematik sind relativ weit verbreitet bei Kindern und Jugendlichen und treten nicht nur bei der Diagnose Dyskalkulie auf. Leistungsanforderungen in schriftlichen Arbeiten, die selbstwertbedrohlich sein können, erzeugen bereits vor und vor allem   in der Prüfungssituation eine nicht angemessene Angst, die für die Betroffenen höchst unangenehm ist. Schüler verlieren anfangs wertvolle Zeit, bis sie überhaupt in der Lage sind, sich den Aufgaben zuzuwenden. Anschließend versuchen sie vergeblich, einen Bezug zu dem vorigen häuslichen Üben zu finden. Meist reift dann schon die Erkenntnis, dass die Aufgabenstellungen derart gestaltet sind, dass sie keine Lösungsansätze finden. In der Verzweiflung bleibt der Versuch, das Blatt dennoch zu füllen in dem Bewusstsein, zumindest  noch einige Punkte zu bekommen. 

Der Blackout in der Prüfung zieht eine schlechte Note nach sich. Passiert es mehrfach hintereinander, wandert die Angst mit, allen weiteren Leistungsforderungen nicht gewachsen zu sein.. Daraus entsteht erlernte Hilflosigkeit, die mit Vermeidungsverhalten einhergeht.  Mangelndes Selbswertgefühl, Misserfolgserwartungen, Angst vor den Folgen der schlechten Noten in Verbindung mit ungeeigneten Lernstrategien führen zu einer unrealistischen Selbsteinschätzung, die für Betroffene nur noch eine Schlussfolgerung zulässt, dass jegliche Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind. Voriges begriffloses Üben im Sinne dessen, Unverstandenes vor den Klassenarbeiten einzutrainieren ist tatsächlich sinnlos, da die sekundäre Neurotisierung auf die Lernstörung direkt oder indirekt zurückzuführen ist. 

Denkblockaden stehen in direktem Zusammenhang mit der Prüfungsangst. Zuhause konnten die Hausaufgaben noch gelöst werden. In der Prüfung verpufft alles Gelernte. Formeln sausen durch das Gehirn und lösen sich auf. Schlimmstenfalls entsteht absolute Leere im Kopf, die Atmung wird flach und die Hände sind schweißig und zittrig. 

Der innere Druck steigt von der Ankündigung der Klassenarbeit kontinuierlich an, bis sie verteilt und dann auf dem Tisch liegt. Die Informationen an das vorher Geübte sind nur bruchstückhaft oder gar nicht mehr abrufbar. Vergleichbar mit einem Computer: Zugriff auf die Festplatte verweigert, System wird heruntergefahren. 

Nach Rückgabe der Klassenarbeit blicken die Eltern überrascht auf die wenigen und fehlerbehafteten Aufzeichnungen, die zu Papier gebracht wurden. Meist geben Schüler auf Rückfrage schambehaftet an, dass sie keine Erklärung haben, erinnern sich jedoch die heftige Angstreaktion in der Stresssituation. Das Denken während der Prüfungszeit von weit auf eng gestellt, verknüpfte Gedanken, die zur einer Transferleistung unabdingbar sind, im Bewusstsein wie weggeblasen. 

Ist die Mathematik schon längere Zeit zu einem mühsamen und bedrohlichem Angstfach geworden, kann das Gutachten einer Psychologischen Praxis für Kinder und Jugendliche  mit  testpsychologischen Befunden und Empfehlungen  Grundlage sein, der Lehrkraft aufzuzeigen, dass ein differenziertes Eingehen auf die psychologische Situation und die defizitäre Lernausgangslage vonnöten ist. 

Oftmals stellt sich heraus, dass Schüler  nicht so gut vorbereitet sind, wie sie meinen/sollten. Zu wenig getan, keine Auseinandersetzung mit dem Themenplan, desolate Heftführung, die weder Struktur noch einen roten Faden zum aktuellen Thema erkennen lässt.

Gutes Zeitmanagement ist eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen! Plan aufstellen, Checklisten abarbeiten und Aufgaben wiederholt durchrechnen. Im digitalen Zeitalter sollte es kein Problem sein, vollständig richtige Lösungen für Aufgaben von guten Mitschülern zu erhalten, wenn selbst keine Lösung gefunden wird. Was jedoch nicht davon entbindet, über jeden Arbeitsschritt nachzudenken und diese Aufgaben wiederholt durchzurechnen, bis keine Fragen mehr offen sind. Vor allem sollte darauf geachtet werden, dass falsche Lösungen durch richtige ersetzt werden! 

Ausreden, wie etwa den Misserfolg ausschließlich auf den Gedächtnisausfall zu schieben, lassen Lehrer nicht gelten. Diese sind schnell entlarvt, wenn sich herausstellt, dass Schüler weder ein ordentliches Heft führen, keine Hausaufgaben machen,  noch eine gründliche Vorbereitung auf die schriftlichen Arbeiten mit Aufgaben auf einem leeren Block, mit Datum und Uhrzeit versehen,  nachweisen können.

Wer im Unterricht nicht mehr versteht, worum es geht, beim selbständigen Durchrechnen der Aufgaben überfordert ist und nur noch auf Unverstandenes stößt, benötigt qualifizierte externe Hilfestellung und eine Differenzierung. Dazu  bedarf es jedoch eines Gutachtens, das eine Dyskalkulie (F81.2) bescheinigt. Ab Klasse 7 gibt es wegen fehlenden Personals in der Regel keine Förderangebote mehr von den Schulen, noch sind Lehrkräfte verpflichtet, eine Differenzierung durchzuführen. Die Situation in höheren Jahrgangsstufen gestaltet sich deshalb besonders schwierig, weil  durch Schematismen vieles auswendig gelernt wurde und zudem eine Vielzahl von Wissenslücken verhindert, den neuen aktuellen Lernstoff zu verstehen. 

Vieles hängt von der Bewertung der Situation ab. Werden Aufgaben als Herausforderung empfunden oder lösen sie eine Bedrohung aus? Wer nur mit negativen Befindlichkeiten und Sätzen im Kopf „das schaffe ich nicht“, „falle schon wieder durch“ oder „ich bin einfach viel zu schlecht“ beschäftigt ist, gerät in den Angstkreislauf und kann sich nicht mehr unvoreingenommen den  Aufgaben zuwenden.  Hier hilft eine kognitive Umstrukturierung, die negative Gedanken in positive Gedanken umwandelt. Jedoch will das gekonnt sein und bedarf einer kompetenten Hilfestellung. Diese Strategien und zusätzliche Atem- und Entspannungstechniken müssen im Vorfeld gut einübt werden, um sie im Ernstfall parat zu haben.