„Zehnerstopp“ mit Folgen

Im ersten Schuljahr gibt es bereits eine Vielzahl von „Hilfsmitteln“, vom Abacus, Zahlenstrahl etc.  bis hin zu Wendeplättchen, die von den Grundschullehrerinnen im Unterricht eingesetzt werden. Eltern fragen sich, ob diese Materialien auch zuhause Anwendung finden sollten und wollen es nicht bei den Illustrationen in Büchern und Übungsheften belassen.

Ziel des Einsatzes von Anschauungsmaterial  ist es , „Automatisierung“ einzuüben und das Erarbeitungsmaterial zu einem späteren Zeitpunkt überflüssig machen, wenn es sich im Kopf verinnerlicht hat. Bei den meisten Kindern gelingt das gut.

Rechenschwache Kinder können meist die Zahlen zerlegen (Zahlenhäuser), bringen jedoch diese Erkenntnis nicht in Zusammenhang mit den Rechenaufgaben, die bereits im ersten Schuljahr im  Teilschrittverfahren mit Zehnerstopp gelöst werden sollen.Warum, so fragen sich die Kinder, sind  mehrere Schritte erforderlich, wenn man doch zählen kann? Sie verlassen sich lieber auf die gekonnte Zählstrategie, darauf, vor- und rückwärts zu  zählen, um Plus- und Minusaufgaben im vorgegebenen Zwanzigerraum zu lösen. Hier wird schon das erste „Rechnen“ in der Grundschule durch eine Zählstrategie ersetzt. Und warum, so fragen sich die Kinder , überhaupt diesen Zehnerstopp einlegen –  wenn man doch mühelos weiterzählen kann. Deshalb bleiben die Kinder Zehnerüberschreiter/innen, weil sie den Sinn des Zehnerstoppverfahrens nicht als Rechenvorteil erkennen.

Im zweiten Schuljahr machen sie dann die Erfahrung, dass sie mit der Zählstrategie an Grenzen stoßen. Ist kein anderes, weniger voraussetzungsreiches, einfacheres Verfahren für Aufgaben dieses Typs vorhanden, geht das Zählen  im nächst höheren Zahleraum, dem Hunderterraum, weiter und jegliches mathematisches Verständnis wird unterwandert.

So gut wie jedes  Anschauungsmaterial lässt sich rein zählend betrachten, gerade für zählende Kinder. Das ist gerade der Grund, warum diese die Materialien auch zählend betrachtet werden  und die Gefahr ist groß, dass der Effekt der Hilfsmittel nicht erzielt wird. 

Auch das beste Material sorgt nicht automatisch dafür, dass  die Kinder sich von der Zählstrategie verabschieden. Gerade der Zahlenstrahl ist eine Einladung für diese Zählstrategie und bestätigt die Kinder erst recht in ihrem Denken, die Zahlenreihe vorwärts + oder rückwärts – abzuschreiten. 

Vielmehr sind die Erarbeitungsmaterialien gezielt so einzusetzen, dass Grundschulkinder die  mathematischen Sachverhalte begreifen und ihnen Möglichkeit verwehrt werden, zu zählen.

Oftmals verlangt es gerade im ersten Schuljahr nach einer einfacheren Strategie, die Kinder nachvollziehen können. Das striktes Wegführen vom Zählen bleibt  die zentrale Aufgabe der Didaktik. 

 

„Wird zählendes Rechnen verfestigt, stellt es eine Sackgasse dar, aus der Schüler im 2. oder 3. Schuljahr kaum mehr herauskommen“.  J.H. Lorenz/H. Radanz 1993